Insulin-bildende Betazellen aus Stammzellen: Wissenschaftler entschlüsseln frühe molekulare Differenzierungsmechanismen

Neuherberg, 23.01.2014. Der Wnt/β-Catenin-Signalweg und die microRNA 335 sind wesentlich daran beteiligt, aus Stammzellen differenzierte Vorläuferzellen auszubilden. Diese organisieren sich in Keimblättern und sind damit Ursprung verschiedener Gewebetypen, u.a. der Bauchspeicheldrüse und ihrer Insulin-bildenden Betazellen. Damit haben Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München molekulare Schlüsselfunktionen der Stammzelldifferenzierung entdeckt, die für die Betazell-Ersatztherapie bei Diabetes genutzt werden könnten. Die Ergebnisse wurden jeweils in der renommierten Fachzeitschrift ‚Development‘ veröffentlicht.

Die Ergebnisse der Wissenschaftler des Instituts für Diabetes- und Regenerationsforschung (IDR) am Helmholtz Zentrum München (HMGU) geben neue Einblicke in die molekulare Steuerung bei der Stammzelldifferenzierung. Diese bieten wichtige Angriffsstrukturen für regenerative Therapieansätze chronischer Erkrankungen wie Diabetes.
Aus sogenannten pluripotenten Stammzellen, welche sich in alle Zelltypen des menschlichen Körpers differenzieren können, bilden sich während der Embryonalentwicklung organspezifische Zelltypen. Die pluripotenten Zellen des Embryos organisieren sich früh in sogenannte Keimblätter: Endo-, Meso- und Ektoderm. Aus diesen drei Zellpopulationen entstehen unterschiedliche funktionelle Gewebezellen, wie z.B. Hautzellen, Muskelzellen, und spezifische Organzellen.

Verschiedene Signalwege sind für diese Keimblatt-Organisation wichtig, unter anderem der sogenannte Wnt/β-Catenin Signalweg. Die Zellen der Bauchspeicheldrüse, wie die Betazellen, entstammen dem Endoderm, dem Keimblatt, aus dem auch Magen-Darm-Trakt, Leber und Lunge entstehen. Prof. Heiko Lickert, Direktor des IDR, konnte in Zusammenarbeit mit Prof. Gunnar Schotta von der LMU München zeigen, dass der Wnt/β-Catenin Signalweg den Transkriptionsfaktor Sox17 reguliert. Sox17 steuert molekulare Programme, die pluripotente Zellen dem Endoderm zuordnen und sorgt so für eine initiale Differenzierung der Stammzellen.

In einem weiteren Projekt konnten Prof. Heiko Lickert und sein Kollege Prof. Fabian Theis, Direktor des Instituts für Computational Biology (ICB) am HMGU, einen weiteren Mechanismus aufdecken, der die Vorläuferzellen beeinflusst. miRNA-335, eine Boten-Nukleinsäure, reguliert die endodermalen Transkriptionsfaktoren Sox17 und Foxa2 und ist essentiell für die Differenzierung der Zellen innerhalb dieses Keimblatts und ihre Abgrenzung vom benachbarten Mesoderm. Die Konzentrationen der Transkriptionsfaktoren bestimmen hierbei, ob diese Zellen sich in Lungen-, Leber- oder Bauchspeicheldrüsenzellen entwickeln. Für diese Erkenntnisse kombinierten die Wissenschaftler ihre Expertise in der experimentellen Forschung mit dem mathematischen Modelling.

„Unsere Ergebnisse stellen zwei Schlüsselprozesse der Stammzelldifferenzierung dar“, erklärt Heiko Lickert. „Mit einem verbesserten Verständnis der Zellausbildung kann es uns gelingen, funktionsfähige spezialisierte Zellen aus Stammzellen zu generieren. Diese könnten für vielfältige Therapieansätze genutzt werden. Bei Diabetes könnten wir damit die defekten Betazellen ersetzen, aber auch für andere Organdefekte und -erkrankungen bietet die Regenerationsmedizin neue Therapieoptionen.“

Bei der Volkskrankheit Diabetes kommt es zu einer fehlerhaften Funktion der Insulin-produzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Regenerative Behandlungsansätze zielen darauf ab, diese Zellen zu erneuern bzw. zu ersetzen. Ein EU-gefördertes Forschungsprojekt (‚HumEn‘) unter Beteiligung von Lickert und seinem Team soll weitere Erkenntnisse auf dem Gebiet dieser Betazell-Ersatztherapie erbringen.

Ziel der Forschung am Helmholtz Zentrum München, Partner im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) ist es, neue Ansätze für Diagnose, Therapie und Prävention der großen Volkskrankheiten, wie Diabetes mellitus, zu entwickeln.

 

Weitere Informationen


Original-Publikationen:
Engert, S. et al. (2013). Wnt/β-catenin signalling regulates Sox17 expression and is essential for organizer and endoderm formation in the mouse, Development, doi:10.1242/dev.088765

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Yang, D. et al. (2014, epub ahead of print). miR-335 promotes mesendodermal lineage segregation and shapes a transcription factor gradient in the endoderm, Development, doi:10.1242/dev.104232

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Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.200 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 34.000 Beschäftigten angehören. Das Helmholtz Zentrum München ist Partner im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung e.V.

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung e.V. bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Mitglieder des Verbunds sind das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, die Paul Langerhans Institute des Carl Gustav Carus Universitätsklinikums Dresden und der Eberhard-Karls-Universität Tübingen sowie die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e.V. und die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz Antworten auf offene Fragen in der Diabetesforschung zu finden und einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung von Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten.

Die Arbeiten des Instituts für Diabetes- und Regenerationsforschung (IDR) konzentrieren sich auf die biologische und physiologische Erforschung der Bauchspeicheldrüse bzw. der Insulin-produzierenden Betazellen. So trägt das IDG zur Aufklärung der Entstehung von Diabetes und der Entdeckung neuer Risikogene der Erkrankung bei. Experten aus den Bereichen Stammzellforschung und Stoffwechselerkrankungen arbeiten gemeinsam an Lösungen für regenerative Therapieansätze des Diabetes. Das IDR ist Teil des Helmholtz Diabetes Center (HDC).

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Fachlicher Ansprechpartner
Prof. Heiko Lickert, Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Institut für Diabetes und Regenerationsforschung, Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg - Tel.: +49 89 3187-3760