Mit personalisierter Therapie gegen Übergewicht

Neuherberg, 09.09.2015. Auf der Suche nach den Ursachen für Stoffwechselerkrankungen wie Fettleibigkeit (Adipositas) und Diabetes hat ein Team aus Wissenschaftlern des Helmholtz Zentrums München und US-Kollegen ein ganzes Netzwerk an Einflussfaktoren aufgedeckt. Neben der Ernährung, der Umwelt und der Genetik spielt auch die Zusammensetzung der Darmbakterien eine Rolle. Die Ergebnisse sind im Journal ‚Cell Metabolism‘ nachzulesen.

„Unsere Ergebnisse bestätigen, dass das Darm-Mikrobiom* sehr leicht durch die Nahrung und Umgebung beeinflusst werden kann“, beschreibt Erstautor Dr. Siegfried Ussar vom Institut für Diabetes und Adipositas (IDO) die Ergebnisse. „Die Auswirkungen dieser Veränderungen auf den Organismus hängen jedoch stark von den genetischen Voraussetzungen des Einzelnen ab.“ Die Autoren schlussfolgern aus den komplexen Zusammenhängen, dass bei Stoffwechselerkrankungen in Zukunft noch mehr auf individualisierte Therapieansätze gesetzt werden sollte, um den besten therapeutischen Erfolg zu erzielen.

„Fokus stärker auf dem individuellen genetischen Hintergrund“
Denn laut den Wissenschaftlern haben ihre Ergebnisse auch Auswirkungen auf aktuelle Forschungsvorhaben, die darauf abzielen, Adipositas durch den Transfer von Darm-Bakterien zu begegnen. Vorhergehende Arbeiten konnten bereits zeigen, dass das Darm-Mikrobiom sich zwischen schlanken und adipösen Personen unterscheidet. Dementsprechend laufen aktuell Studien, die versuchen zu klären, ob sich ein Transfer bestimmter Darm-Bakterien positiv auf metabolische Krankheiten auswirkt. „Unsere Erkenntnisse legen nahe, dabei den Fokus stärker auf den individuellen genetischen Hintergrund des Empfängers zu richten“, blickt Ussar voraus.

Weniger Gewicht in neuer Umgebung - aber nur mit den richtigen Genen
Für ihre Experimente untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler drei unterschiedliche Tiermodelle aus unterschiedlicher Haltung und mit unterschiedlich genetisch vorprogrammierten Stoffwechsel-Eigenschaften, wie beispielsweise Adipositas. Sie verglichen diese Exemplare mit solchen, die über mehrere Generationen im Joslin Diabetes Center von Prof. C. Ronald Kahn im US-amerikanischen Boston gehalten wurden. „Interessanter Weise führte veränderte Nahrung und Umgebung bei einer bestimmten genetischen Ausgangslage zu einem Rückgang des Übergewichts“, beschreibt Ussar, dessen Arbeitsgruppe auch Teil des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) ist. „Ist der genetische Hintergrund allerdings ein anderer, spielt die neue Umgebung keine Rolle mehr.“**

Zwei Erkenntnisse stellen die Autoren besonders heraus: „Zum einen liefert die Studie neue Hinweise für die Auswertbarkeit und Übertragbarkeit von in vivo Versuchen zwischen Laboren“, so Erstautor Ussar. „Darüber hinaus können wir aus den Untersuchungen mit Tiermodellen auch erste Rückschlüsse auf die Anwendbarkeit beim Menschen ziehen.“

 

Weitere Informationen

Hintergrund:
* Das Mikrobiom, auch Mikrobiota genannt, bezeichnet die Gesamtheit der auf und im Menschen lebenden Bakterien. In diesem Fall wurde ausschließlich das Mikrobiom im Darm untersucht.

 ** Die Helmholtz-Forscher gehen davon aus, dass dieses Phänomen durch eine veränderte Zusammensetzung der Bakterien im Darm zustande kommt, die wiederum mit der Genetik zusammenhängt. Co-Autor Jeffrey Gordon von der Washington University fasst die Ergebnisse mit einem Satz so zusammen: „Abhängig vom genetischen Hintergrund des Wirts können umweltbedingte Veränderungen der Darm-Mikrobiota die Anfälligkeit zur Entstehung eines metabolischen Syndroms stark beeinflussen.“

Original-Publikation:
Ussar, S. et al. (2015). Interactions between Gut Microbiota, Host Genetics and Diet Modulate the Predisposition to Obesity and Metabolic Syndrome, Cell Metabolism, DOI: 10.1016/j.cmet.2015.07.007

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Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören. Das Helmholtz Zentrum München ist Partner im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung e.V. 

Das Institut für Diabetes und Adipositas (IDO) erforscht die Erkrankungsmechanismen des Metabolischen Syndroms mit systembiologischen und translationalen Ansätzen. Mittels zellulärer Systeme, genetisch modifizierter Mausmodelle und klinischer Interventionsstudien sollen neue Signalwege und Zielstrukturen entdeckt werden. Ziel ist die interdisziplinäre Entwicklung innovativer Therapieansätze zur personalisierten Prävention und Behandlung von Adipositas, Diabetes und deren Begleiterkrankungen. Das IDO ist Teil des Helmholtz Diabetes Center (HDC).

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung e.V. (DZD) ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind das Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden des Helmholtz Zentrum München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner.

 

Fachlicher Ansprechpartner:
Dr. Siegfried Ussar, Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Institut für Diabetes und Adipositas, Nachwuchsforschungsgruppe Fettzellen und Stoffwechsel, Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg - Tel. +49 89 3187 2047 -