Schwangerschaftsdiabetes beeinflusst die Hirnreaktion des ungeborenen Kindes

Neuherberg, 26.10.2015. Die Forschergruppe um Prof. Hubert Preißl und Prof. Andreas Fritsche vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung, dem Universitätsklinikum Tübingen und dem Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrums München an der Universität Tübingen zeigen erstmals in ihrer jetzt veröffentlichten Studie: Schwangerschaftsdiabetes verlangsamt die fetale Hirnreaktion nach einer Mahlzeit der Mutter. Möglicherweise liegt bei diesen Kindern bereits im Mutterleib eine Insulinresistenz des Gehirns vor, was die Wahrscheinlichkeit erhöhen könnte, dass das Kind später im Leben Übergewicht und Typ-2-Diabetes entwickelt. Die Studie unterstreicht damit die Bedeutung einer frühzeitigen Prävention bei Frauen mit Kinderwunsch und erhöhtem Risiko für Schwangerschaftsdiabetes bzw. schwangeren Frauen mit entsprechendem Risikoprofil.

Schwangerschaftsdiabetes (Gestationsdiabetes) ist eine Form des Diabetes, der sich während einer Schwangerschaft entwickeln kann. Maßgebliche Faktoren sind neben einer genetischen Prädisposition vor allem Übergewicht, Bewegungsmangel und ein ungünstiges Ernährungsverhalten. Das Risiko für einen Gestationsdiabetes und seine negativen Folgen für das noch ungeborene Kind lässt sich vielfach durch geeignete Maßnahmen wie frühzeitige Ernährungsumstellung und Bewegungssteigerung beeinflussen. Eine jetzt im Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism veröffentlichte Studie unterstreicht die hohe Bedeutung einer rechtzeitigen Prävention und Intervention [1]. Sie wurde unterstützt durch das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Helmholtz Allianz.

Bei Gestationsdiabetes: Hirnreaktion des Fetus nach einer Mahlzeit der Mutter verlangsamt
Vierzig schwangere Frauen aus der Diabetesambulanz und der Frauenklinik des Universitätsklinikums Tübingen nahmen an der Studie teil, zwölf von ihnen mit Gestationsdiabetes. Die Studie beinhaltete Untersuchungen zu jeweils drei Messzeitpunkten: Zu Beginn erfolgte eine Nüchternmessung. Anschließend nahmen die Frauen 75 Gramm einer Zuckerlösung zu sich. Die zweite Untersuchung erfolgte 60 Minuten nach dieser Glukoseaufnahme, die dritte zwei Stunden nach Glukoseaufnahme. Zu jedem Messzeitpunkt wurde mittels fetaler Magnetoenzephalographie die fetale Hirnreaktion auf einen wiederholt präsentierten Ton gemessen und die Reaktionszeit des kindlichen Gehirns bestimmt. Zusätzlich wurden bei der Mutter zu jedem Messzeitpunkt Zucker und Insulin im Blut gemessen.

Das Ergebnis: Eine Stunde nach Glukoseaufnahme fanden die Forscher eine signifikant langsamere fetale Hirnreaktion auf die Töne in der Gruppe der Frauen mit Gestationsdiabetes im Vergleich zur Kontrollgruppe mit den Frauen ohne Schwangerschaftsdiabetes (296 ± 82 ms vs. 206 ± 74 ms, P = 0,001). Zu den anderen beiden Messzeitpunkten zeigte sich dagegen kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen. Die zeitweilig verlangsamte Hirnreaktion bei den ungeborenen Kindern der Teilnehmerinnen mit Gestationsdiabetes war signifikant assoziiert mit erhöhten Zucker- und Insulinspiegeln der Mütter.

Mütterliche Insulinresistenz könnte den Hirnstoffwechsel des ungeborenen Kindes beeinflussen
Die Autoren schließen daraus, dass der mütterliche Stoffwechsel die Hirnfunktion des Fetus direkt beeinflusst und ein Schwangerschaftsdiabetes möglicherweise bereits beim ungeborenen Kind eine Insulinresistenz im Gehirn induziert. Ihr Erklärungsansatz lautet: Bei den Kindern der gesunden Mütter kommt es nach der mütterlichen Einnahme der Glukoselösung zu einem Anstieg von Glukose- und Insulin im Gehirn, was zu einer Aktivierung und Verbesserung der fetalen neuronalen Hirntätigkeit führt. Dieser Effekt tritt bei den ungeborenen Kindern der Mütter mit Schwangerschaftsdiabetes nicht auf. Die Forscher vermuten, dass diese Kinder durch eine permanente Hyperglykämie der Mutter bereits im Uterus eine verminderte Sensitivität auf Glukose und Insulin-Resistenz entwickeln.

Mögliche Prägung für späteres Übergewicht und Typ-2-Diabetes bereits im Uterus
Stimmt die Vermutung der Forscher, könnte dies einer Prägung des fetalen Stoffwechsels bereits im Uterus gleichkommen und die vermutete fetale Insulinresistenz im Gehirn das spätere Diabetes- und Übergewichtsrisiko des Kindes erhöhen. Der derzeitige Forschungsstand zur Bedeutung von Insulin im menschlichen Gehirn und den Auswirkungen einer dortigen Insulinresistenz wurde gerade von der Arbeitsgruppe in einem Übersichtsartikel in der renommierten Fachzeitschrift Nature Reviews Endocrinology zusammengefasst [2].


Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) e.V. ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind das Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden des Helmholtz Zentrum München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner.


Quellen:
[1] Linder K et al. Gestational Diabetes Impairs Human Fetal Postprandial Brain Activity. The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism 2015: jc20152692. DOI:10.1210/jc.2015-2692
[2] Heni M et al. Impaired insulin action in the human brain: causes and metabolic consequences. Nature Reviews Endocrinology 2015. DOI:10.1038/nrendo.2015.173

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