Ulm, 21.07.2020

Anstieg von Ketoazidose bei Kindern und Jugendlichen während der Coronakrise

Wie stand es um Fälle von Ketoazidose bei jungen Menschen mit neu aufgetretenem Diabetes während der ersten zwei Monate der COVID-19-Pandemie in Deutschland? Dieser Frage ist der DZD-Wissenschaftler Prof. Dr. Reinhard Holl von der Universität Ulm mit einem deutschlandweiten Team nachgegangen. Die Ergebnisse wurden nun in der Fachzeitschrift JAMA veröffentlicht. Hintergrund der Untersuchung war die generell gesunkene Zahl von Arztbesuchen, die potentiell zu verspäteten medizinischen Diagnosen führte.

Die Forschenden verglichen das Auftreten von diabetischer Ketoazidose (DKA)1 und schwerer diabetischer Ketoazidose zwischen dem 13. März und 13. Mai dieses Jahres, als die meisten Schulen und Kindergärten coronabedingt geschlossen waren, mit den Vorjahreszeiträumen von zwei Jahren. Die Daten stammten aus dem Deutschen DPV-Register, in dem bundesweit über 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit einem Typ-1-Diabetes erfasst sind.

Untersucht wurden die Angaben zu 532 Kindern und Jugendlichen mit einem neu diagnostizierten Typ-1-Diabetes aus 216 Diabeteszentren. 238 Patienten (44,7%) wiesen eine diabetische Ketoazidose und 103 (19,4%) eine schwere diabetische Ketoazidose auf. Diese Zahlen lagen signifikant höher als in den beiden Vorjahren (24,5 % in 2019 und 24,1 % in 2018 für diabetische Ketoazidose bzw. 13,9 % in 2019 und 12,3 % in 2018 für schwere diabetische Ketoazidose). Am stärksten betroffen waren Kinder unter 6 Jahren.

Die Gründe für diesen Anstieg mögen vielschichtig sein, spiegeln jedoch das verringerte medizinische Angebot bzw. die Furcht, dieses während der COVID-19-Pandemie zu nutzen, wider. Zwar wurden der soziökonomische Status und eine mögliche erbliche Vorbelastung bei dieser Studie außer Acht gelassen, dennoch diskutieren die Autoren um PD Dr. Clemens Kamrath von der Universitäts-Kinderklinik in Giessen eine bessere Ausbildung des Fachpersonals sowie ein Betazellen-Antikörper-Screening als Möglichkeiten, die DKA-Rate bei Manifestation zu senken.

 

1Diabetische Ketoazidose ist ein lebensbedrohlicher Zustand, der oft auch bei noch nicht erkannten Personen mit Typ-1-Diabetes auftritt (pH-Wert unter 7,3 bzw. Bikarbonatspiegel unter 15mmol/l sowie bei schwerer diabetischer Ketoazidose pH-Wert unter 7,1 bzw. Bikarbonatspiegel unter 5mmol/l). Die Ursache ist eine erhöhte Konzentration von Ketonkörpern, die zu einer gefährlichen Übersäuerung des Blutes führt. Dies geschieht durch Insulinmangel aufgrund eines stark erhöhten Blutzuckerspiegels. Der Zucker aus dem Blut gelangt nicht mehr in die Körperzellen, denen deshalb Energie für die Stoffwechselprozesse fehlt. Zur Deckung des Energiebedarfs wird ein Abbau von Fettgewebe eingeleitet. Die so entstehenden Fettsäuren werden unvollständig zu sogenannten Ketonkörpern abgebaut, die ausgeatmet (süßlicher Geruch) und mit dem Harn (verstärkter Harndrang) ausgeschieden werden. Es drohen Austrocknung und Kreislaufversagen. Ohne Gegenmaßnahmen führt eine Ketoazidose zu einem diabetischen Koma, im schlimmsten Fall bei fehlender Behandlung zum Tod.

 

Original-Publikation:
Kamrath, C. et al. Ketoacidosis in Children and Adolescents With Newly Diagnosed Type 1 Diabetes During the COVID-19 Pandemic in Germany. JAMA 2020. doi:101001/JAMA.2020.13445

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