Dresden, 15.01.2025

Internationale Kommission schlägt umfassende Überarbeitung der Adipositas-Diagnose vor

Die internationale Kommission für klinische Adipositas (Commission on Clinical Obesity) schlägt eine umfassende Neugestaltung der Adipositas-Diagnostik vor. Der neue Ansatz geht über den Body-Mass-Index (BMI) hinaus und berücksichtigt zusätzliche Messungen des Körperfetts sowie objektive Krankheitszeichen auf individueller Ebene. Auch Forschende des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) waren an der Kommission beteiligt. Die Ergebnisse werden erstmals in einer Veranstaltung von ‚The Lancet Diabetes & Endocrinology‘ am 16. Januar in London vorgestellt und dann in einem Artikel in der Fachzeitschrift veröffentlicht.

Weltweit sind etwa eine Milliarde Menschen adipös. In Deutschland ist jeder vierte Erwachsene stark mehrgewichtig. Viele leiden unter der Erkrankung und die Kosten für die Behandlung von Adipositas und seiner Komplikationen – wie u. a. Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arthrose, bestimmte Krebsarten und psychische Erkrankungen – belasten die Gesundheitssysteme. Eine präzisere Diagnose könnte den Menschen gezielter helfen und Kosten senken.

Derzeit stützen sich medizinische Ansätze zur Diagnose von Adipositas hauptsächlich auf den BMI. Der BMI ist jedoch kein zuverlässiges Maß für Gesundheit oder Krankheit auf individueller Ebene. Dies kann zu Fehldiagnosen und negativen Folgen für Betroffene und die Gesellschaft führen. Die Commission on Clinical Obesity empfiehlt daher, neben dem BMI auch Messungen des Taillenumfangs oder direkte Fettmessungen zur Erkennung von Fettleibigkeit zu verwenden, um das Risiko einer Fehlklassifizierung zu verringern.

Zwei diagnostische Kategorien für Adipositas vorgeschlagen: Klinische und präklinische Adipositas

Darüber hinaus stellt die Kommission zwei neue diagnostische Kategorien vor: "klinische Adipositas" und "präklinische Adipositas". Klinische Adipositas wird als chronische Krankheit definiert, die mit einer anhaltenden Organfunktionsstörung aufgrund des starken Überwichts einhergeht. Präklinische Adipositas hingegen ist mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko verbunden, jedoch keine anhaltende Erkrankung.

Personalisierte Gesundheitsberatung und evidenzbasierte Versorgung

Die Kommission macht sich dafür stark, dass alle Menschen mit Adipositas eine personalisierte Gesundheitsberatung und evidenzbasierte Versorgung erhalten – frei von Stigmatisierung und Schuldzuweisungen. Dies soll durch unterschiedliche Strategien für klinische und präklinische Adipositas erreicht werden.  "Adipositas nur als Risikofaktor und niemals als Krankheit zu betrachten, kann Menschen, die allein aufgrund von Adipositas gesundheitlich krank sind, zu Unrecht den Zugang zu zeitkritischer Versorgung verweigern. Auf der anderen Seite kann eine pauschale Definition von Adipositas als Krankheit zu Überdiagnosen und ungerechtfertigtem Einsatz von Medikamenten und chirurgischen Eingriffen führen, mit potenziellem Schaden für den Einzelnen und schwindelerregenden Kosten für die Gesellschaft“, sagt der Vorsitzende der Kommission Professor Francesco Rubino vom King's College London.

"Eine gründliche und ausgewogene Definition von Adipositas ist längst überfällig, um die medizinischen und sozioökonomischen Herausforderungen anzugehen“, betont Prof. Stefan Richard Bornstein, Mitglied der Kommission und Direktor des Zentrums für Innere Medizin am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden sowie Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD). Der Vorschlag der Kommission bietet den Gesundheitssystemen die Möglichkeit, eine klinisch relevante Definition von Adipositas sowie genauere Methode für ihre Diagnose zu verabschieden. Dies kann helfen, die Ressourcen effizienter zu nutzen und den Menschen gezielter zu helfen.
 


© The Lancet Diabetes & Endocrinology
 

Commission on Clinical Obesity

Die Kommission unter dem Vorsitz von Prof. Francesco Rubino vom King's College London umfasst 56 internationale Expertinnen und Experten aus einem breiten Spektrum medizinischer Fachgebiete, darunter Endokrinologie, Innere Medizin, Chirurgie, Biologie, Ernährung und öffentliche Gesundheit, die viele Länder und unterschiedliche Gesundheitssysteme vertraten. Unterstützt von der World Obesity Federation und 75 anderen medizinischen Organisationen weltweit legt die Kommission eine neue evidenzbasierte Definition der klinischen Adipositas vor, die als chronische, systemische Erkrankung durch übermäßige Adipositas verstanden wird. Ziel ist es, die Einschränkungen der traditionellen Definition und Diagnose zu überwinden und die notwendige Versorgung für Betroffene zu gewährleisten. Die Kommission bezog auch Menschen mit Adipositas ein und befasste sich insbesondere mit den möglichen Auswirkungen der neuen Definitionen von Adipositas auf die weit verbreitete gesellschaftliche Stigmatisierung.

 

Auf einer Veranstaltung von The Lancet Diabetes & Endocrinology stellt die Kommission erstmals ihre Empfehlungen zur Definition und zu den Diagnosekriterien der klinischen Adipositas am 16. Januar 2025 von 13:00 bis 17:00 Uhr (GMT) vor (Launch Event).
Mitglieder der Kommission werden die Auswirkungen auf Praxis und Politik mit eingeladenen Experten und anderen Interessengruppen in London (UK) sowie an verschiedenen Standorten weltweit diskutieren. Die Veranstaltung wird live gestreamt.
The Lancet Diabetes & Endocrinology Commission Launch Event | World Obesity Federation


Fachlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Stefan Bornstein
Mitglied der Commission on Clinical Obesity und Sprecher auf der Veranstaltung zum Launch der Empfehlungen zur Definition und zu den Diagnosekriterien der klinischen Adipositas
Direktor des Zentrums für Innere Medizin am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Gruppenleiter am DZD-Partner Paul Langerhans Institut Dresden von Helmholtz Munich am Universitätsklinikum und der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden
Fetscherstraße 74, 01307 Dresden
Telefon: 0351 458-5955 oder 0351 458-2931
 

Die Technische Universität Dresden (TU Dresden) ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten, die für ihre außergewöhnlichen Standards in Forschung und Lehre in den verschiedensten Bereichen geschätzt wird. Die Medizinische Fakultät der TU Dresden hat sich zum Ziel gesetzt, die medizinische Wissenschaft und das Gesundheitswesen durch interdisziplinäre Zusammenarbeit und bahnbrechende Forschung voranzutreiben.https://www.uniklinikum-dresden.de/de

Das Paul-Langerhans-Institut des Helmholtz München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus und der Medizinischen Fakultät der TU Dresden (PLID) trägt entscheidend dazu bei, die Mechanismen der Krankheit besser zu verstehen und neue Therapiemöglichkeiten zu erforschen. Das Institut ist Gründungspartner des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD e.V.) und ist seit Januar 2015 ein Satelliteninstitut von Helmholtz Munich. Sein Programm umfasst die Erforschung der Pathophysiologie des Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2. Im Mittelpunkt stehen dabei die Mechanismen, die zur Zerstörung und/oder eingeschränkten Funktion der Betazellen der Bauchspeicheldrüse und zu einer unzureichenden Insulinsekretion führen. Darüber hinaus spielt das PLID als einziges deutsches Transplantationszentrum für humane Inselzellen der Bauchspeicheldrüse eine herausragende Rolle. https://tu-dresden.de/med/mf/plid

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) e.V. ist eines der acht Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind Helmholtz Munich – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen von Helmholtz Munich an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden von Helmholtz Munich am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner. www.dzd-ev.de