Potsdam-Rehbrücke / Tübingen, 10.07.2024
Stoffwechselgesunde Adipositas: Fettverteilung Schlüssel zur Bewertung des Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Fettleibige, aber stoffwechselgesunde Menschen haben ein deutlich geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Tod im Vergleich zu stoffwechselkranken Menschen mit starkem Übergewicht. Unerwarteterweise ist ihr Risiko im Vergleich zu schlanken, stoffwechselgesunden Menschen nur gering erhöht. Ein aktueller Übersichtsartikel in ‚Nature Reviews Endocrinology‘ von den DZD-Forschenden Matthias Schulze und Norbert Stefan zeigt, dass Studien das Konzept der Stoffwechselgesundheit bei Fettleibigen (metabolically healthy obesity, MHO) unterstützen und die Rolle der Fettverteilung betonen. Diese Erkenntnisse sind wichtig für die Ausrichtung von Behandlungszielen und Interventionsstrategien in der klinischen Praxis.
Bluthochdruck, Fettleibigkeit und ein erhöhter Nüchternblutzucker zählen zu den wichtigsten globalen Gesundheitsrisiken. Diese und andere bekannte Faktoren, wie niedriges HDL-Cholesterin und hohe Triglyceride, werden zur Beurteilung der Stoffwechselgesundheit herangezogen. Normalerweise gelten Personen als stoffwechselgesund, wenn sie weniger als zwei dieser Risikofaktoren aufweisen und nicht medikamentös behandelt werden. Interessanterweise hat die Forschung spezifische Untergruppen identifiziert, wie z. B. stoffwechselkranke, normalgewichtige Menschen (metabolically unhealthy normal weight; MUHNW) und stoffwechselgesunde, adipöse Menschen (metabolically healthy obesity; MHO). Diese Gruppen weisen erhebliche Unterschiede in ihrem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dadurch bedingten Tod auf.
Die Feststellung der Stoffwechselgesundheit ist wichtig für die Ausrichtung von Behandlungszielen und Interventionsstrategien in der klinischen Praxis. © Matthias Schulze (erstellt mit biorender.com)
Menschen mit MHO und günstiger Fettverteilung haben kein erhöhtes Sterblichkeits-Risiko durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen
In mehreren Meta-Analysen wurden diese beiden Gruppen mit stoffwechselgesunden, normalgewichtigen Personen (metabolically healthy normal weight; MHNW) verglichen. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist laut dieser Meta-Analysen bei Personen mit MHO um ca. 50 Prozent höher als bei Personen mit MHNW. Personen mit MUHNW haben aber ein deutlich höheres Risiko: in den Meta-Analysen ist dieses zumeist mindestens doppelt so hoch als das Risiko für Personen mit MHNW. Adipositas scheint dabei vor allem das Risiko für Herzinsuffizienz zu erhöhen – auch bei stoffwechselgesunden Personen. In ihrem aktuellen Übersichtsartikel legen die beiden DZD-Forscher nicht nur das historische Wissen über diese Zusammenhänge dar, sondern diskutieren auch ihre neue Definition von metabolischer Gesundheit.
Unter Berücksichtigung der Risikofaktoren Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes und einem hohen Verhältnis zwischen Taillen- und Hüftumfang – dem sogenannten Taille-Hüft-Index – fanden sie bei der Analyse von Daten aus der US National Health and Nutrition Examination Survey III- und UK Biobank-Studie heraus, dass das Sterblichkeits-Risiko aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen mit MHO nicht erhöht war, im Gegensatz zu einem stark erhöhten Risiko bei stoffwechselkranken dicken Personen. „Diese Daten unterstützen, dass die Körperfettverteilung bei der Definition der Stoffwechselgesundheit berücksichtigt werden sollte", sagt Matthias Schulze, der am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) die Abteilung Molekulare Epidemiologie leitet.
Fettverteilung hat Einfluss auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Norbert Stefan, Professor für Klinisch-Experimentelle Diabetologie am Universitätsklinikum Tübingen, fügt hinzu: "Der BMI spiegelt die Stoffwechselanomalien, die mit der Anhäufung von innerem Bauchfett und Fett in der Leber verbunden sind, sowohl bei Menschen mit Adipositas als auch bei normalgewichtigen Personen nur unzureichend wider." Um die Bedeutung der Fettverteilung zu verdeutlichen, diskutieren die Autoren des vorliegenden Übersichtsartikels die Ergebnisse unterschiedlicher Forschungsansätze. So belegen genetische Analysen, dass eine verminderte Fähigkeit des Körpers Fett im Gesäß und an den Oberschenkeln zu speichern, eine sehr starke und unabhängige Determinante für ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist.
Präventive Lebensstil-Interventionen
Andererseits haben Menschen mit MHO im Vergleich zu Menschen mit MHNW ein höheres Risiko an einem Typ-2-Diabetes zu erkranken, und bei vielen ist der stoffwechselgesunde Zustand von vorübergehender Natur. Diese Tatsache unterstreicht die Bedeutung präventiver Lebensstilinterventionen, sowohl bei MHO, als auch bei MUHO. Die Autoren betonen, dass das Konzept der Stoffwechselgesundheit dabei eine leichte Anwendbarkeit durch die behandelnden Ärzt:innen hat und die Kommunikation des kardiometabolischen Risikos mit den Patient:innen unterstützt. Unter Anwendung des Konzepts der metabolischen Gesundheit können Patienten mit Adipositas leicht selbst beurteilen, ob der Grad ihrer Gewichtsabnahme ausreichend war, um Stoffwechselgesundheit zu erreichen oder zu erhalten.
Stoffwechselgesundheit steigern durch Gewichtsreduktion, gesundes Essen und mehr Bewegung
Bei Menschen mit MUHO könnte ein größerer Gewichtsverlust erforderlich sein, um einen ähnlich risikoarmen Zustand zu erreichen, wie bei Menschen mit MHO, was eine höhere Intensität und damit mehr Ressourcen für die Gewichtsmanagementtherapie erfordert. Die Maßnahmen sollten sich jedoch nicht nur auf die Gewichtskontrolle beschränken. Eine Steigerung der körperlichen Aktivität und der Qualität der Ernährung kann dazu beitragen, die Stoffwechselgesundheit zu verbessern oder zu erhalten. Die Umwandlung von einem stoffwechselkranken in einen stoffwechselgesunden Zustand oder die Aufrechterhaltung eines stoffwechselgesunden Zustands, unabhängig von der Lebensstilintervention und dem Ausmaß der Gewichtsabnahme, könnte eine starke Motivation für die Patienten darstellen, ihre Bemühungen, um eine gesunde Lebensweise fortzusetzen.
Abkürzungen:
MHNW | Stoffwechselgesunde, normalgewichtige Menschen |
MUHNW
| Stoffwechselkranke, normalgewichtige Menschen |
MHO | Stoffwechselgesunde, adipöse Menschen
|
MUHO | Stoffwechselkranke, adipöse Menschen |
Publikation:
Schulze MB, Stefan N. Metabolically Healthy Obesity: From Epidemiology and Pathophysiology to Clinical Implications. Nat Rev Endocrinol. 2024, DOI: 10.1038/s41574-024-01008-5
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Prof. Dr. Matthias Schulze
Abteilung Molekulare Epidemiologie
Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke
Telefon: +49 33200-882434
E-Mail: mschulze(at)dife.de
Prof. Dr. Norbert Stefan
Deutsches Zentrum für Diabetesforschung e.V.
Helmholtz Munich
Universitätsklinikum Tübingen, Department Innere Medizin IV
Telefon: +49 7071-2980390
E-Mail: norbert.stefan(at)med.uni-tuebingen.de
Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Das DIfE ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsassoziierter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ursachen und Folgen des metabolischen Syndroms, einer Kombination aus Adipositas (Fettsucht), Hypertonie (Bluthochdruck), Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörung, die Rolle der Ernährung für ein gesundes Altern sowie die biologischen Grundlagen von Nahrungsauswahl und Ernährungsverhalten. www.dife.de
Helmholtz Munich ist ein biomedizinisches Spitzenforschungszentrum. Seine Mission ist, bahnbrechende Lösungen für eine gesündere Gesellschaft in einer sich schnell verändernden Welt zu entwickeln. Interdisziplinäre Forschungsteams fokussieren umweltbedingte Krankheiten, insbesondere die Therapie und die Prävention von Diabetes, Adipositas, Allergien und chronischen Lungenerkrankungen. www.helmholtz-munich.de
Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD e.V.) ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. www.dzd-ev.de
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