Potsdam-Rehbrücke, 06.05.2025
Spätes Essen ist mit gestörtem Glukosestoffwechsel verbunden
Unser Körper verarbeitet Nahrung je nach Tageszeit unterschiedlich und viele Stoffwechselprozesse sind morgens aktiver als abends. Studien zeigen zwar, dass spätes Essen mit einem erhöhten Risiko für Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammenhängt, jedoch ist bisher wenig darüber bekannt, wie der Zeitpunkt des Essens den Glukosestoffwechsel beeinflusst und wie viel davon genetisch bedingt ist. Dies haben Prof. Olga Ramich vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) und ihr Team kürzlich in einer Zwillingskohorte untersucht. Der Artikel ist im Journal 'eBioMedicine' erschienen.
Stoffwechsel folgt der inneren Uhr
Das zirkadiane System ist ein hierarchisch aufgebautes 24-Stunden-Zeitsteuerungssystem im Körper, das Verhalten und Stoffwechsel über eine zentrale Uhr im Gehirn und periphere Uhren in Organen, wie z. B. Leber oder Bauchspeicheldrüse, reguliert. Dadurch verarbeitet unser Körper dieselbe Nahrung abhängig von der Tageszeit unterschiedlich, was zu tageszeitlichen Schwankungen im Glukosestoffwechsel und der Hormonausschüttung nach einer Mahlzeit führt. Die Nahrungsaufnahme selbst wirkt dabei als ein wichtiger Zeitgeber, der die inneren Uhren synchronisiert. Eine Entkopplung der Essenszeit vom natürlichen Hell-Dunkel-Rhythmus, wie z. B. bei Nachtarbeit, kann zu einer inneren Uhrstörung und negativen Stoffwechselveränderungen führen.
Macht spätes Essen krank?
Bisherige Studien zeigen, dass spätes oder nächtliches Essen mit einem erhöhten Risiko für Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden ist.
Dennoch ist bislang wenig darüber bekannt, wie genau der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme im Zusammenspiel mit dem individuellen zirkadianen Rhythmus den Glukosestoffwechsel und das Diabetesrisiko beeinflusst. Zudem ist unklar, welche Mechanismen das individuelle Essverhalten bestimmen, da hierbei kulturelle, persönliche, physiologische und genetische Einflüsse zusammenwirken.

Vor diesem Hintergrund hat Olga Ramich, Heisenberg-Professorin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und am DIfE untersucht, wie der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme im Tagesverlauf mit dem Glukosestoffwechsel und der Insulinempfindlichkeit zusammenhängt. Außerdem wollte Ramich, die auch am Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) forscht, gemeinsam mit ihrem Team herausfinden, welchen Einfluss genetische und umweltbedingte Parameter auf die individuellen Essgewohnheiten haben.
Zwillinge geben Aufschluss
Dafür nutzten sie Daten aus der NUtriGenomics Analysis in Twins (NUGAT)-Studie, an der 46 eineiige und zweieiige Zwillingspaare ohne Diabetes teilnahmen. Die Proband:innen führten fünf Tage lang Ernährungstagebuch über ihre Essenszeiten und -mengen. Die Wissenschaftler:innen ermittelten den individuellen Schlaf-Wach-Rhythmus (Chronotyp) der Teilnehmenden und führten verschiedene Stoffwechseltests, wie z. B. einen Blutzuckerbelastungstest, durch. Darüber hinaus bestimmten sie das zirkadiane Timing des Essens, also wann jemand im Verlauf des Tages isst – und zwar in Bezug auf den individuellen biologischen Tagesrhythmus und nicht auf die Uhrzeit.
Früheres Essen fördert gesunden Stoffwechsel
Ein wichtiger Parameter, den die Wissenschaftler:innen ermittelten, war der zirkadiane kalorische Mittelpunkt (CCM) der Proband:innen. Dieser beschreibt jenen Zeitpunkt am Tag, zu dem rechnerisch die Hälfte der Tageskalorienmenge aufgenommen wurde. Ein späterer CCM bedeutet demnach, dass jemand hauptsächlich später am Tag isst - in Bezug auf den individuellen Chronotyp.
„Menschen, die ihre Hauptkalorien früher im Tagesverlauf zu sich nahmen, hatten eine bessere Insulinempfindlichkeit“, erklärt Ramich, die am DIfE die Abteilung Molekularer Stoffwechsel und Präzisionsernährung leitet. „Auf der anderen Seite zeigten Proband:innen, die ihre Hauptkalorien erst spät am Tag aufnahmen, eine schlechtere Insulinempfindlichkeit, was mit einem höheren Risiko für Typ-2-Diabetes einhergeht.“ Darüber hinaus hatten sie einen höheren Body-Mass-Index und einen größeren Taillenumfang.
Gene beeinflussen, wann wir essen
Um den Einfluss der Gene auf die Essenszeiten zu untersuchen, verglichen die Forschenden das Essverhalten der eineiigen Zwillinge (100 Prozent identische Gene) mit dem der zweieiigen Zwillinge (ca. 50 Prozent identische Gene). Mit speziellen mathematischen Modellen konnten sie abschätzen, wie stark der Zeitpunkt des Essens auf Gene, gemeinsame Umwelt oder individuelle Erfahrungen zurückzuführen ist.
Die Studie belegt, dass verschiedene Parameter des täglichen Essenszeitmusters bis zu 60 Prozent genetisch beeinflusst werden.
Fazit: Personalisierte Ernährung braucht neue Ansätze
Eine Verlagerung der Hauptkalorienaufnahme auf frühere zirkadiane Zeiten könnte den Glukosestoffwechsel verbessern sowie vor Typ-2-Diabetes und Übergewicht schützen. „Da die Essenszeiten jedoch teils erblich bedingt sind, dürfte es einigen Menschen schwerfallen, ihre Gewohnheiten zu ändern“, gibt Ramich zu bedenken. „Um die Wirksamkeit von Interventionen, die auf der Essenszeit basieren, besser zu verstehen, sind weitere Validierungsstudien und klinische Untersuchungen nötig."
Original-Publikation:
Vahlhaus, J., Peters, B., Hornemann, S., Ost, A. C., Kruse, M., Busjahn, A., Pfeiffer, A. F. H., Pivovarova-Ramich, O.: Later eating timing in relation to an individual internal clock is associated with lower insulin sensitivity and affected by genetic factors. eBioMedicine 116:105737 (2025).
Hintergrundinformationen
Zirkadianes Timing des Essens
Wann jemand im Tagesverlauf bezogen auf den individuellen biologischen Tagesrhythmus isst, wird als Abstand zwischen der Essenszeit und dem Mittelpunkt des Schlafs gemessen. Der Mittelpunkt des Schlafs beschreibt die Zeit, die genau in der Mitte zwischen Einschlafen und Aufwachen liegt. Er gilt als ein Maß für den Chronotyp – also ob jemand eher Frühaufsteher oder Nachtmensch ist.
NUtriGenomics Analysis in Twins (NUGAT)-Studie
Die von Prof. Andreas F. H. Pfeiffer initiierte und konzipierte NUGAT-Studie wurde 2009 bis 2010 am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) durchgeführt. Die ein- und zweieiigen Zwillingspaare wurden entweder aus einem Zwillingsregister (HealthTwiSt, Berlin, Deutschland) oder über öffentliche Anzeigen rekrutiert. Die 92 Teilnehmenden (46 Zwillingspaare) durchliefen dabei zwei Ernährungsinterventionen, die innerhalb der hier gezeigten Studienergebnisse jedoch keine Relevanz hatten.
Die Teilnehmenden unterzogen sich einer detaillierten Stoffwechselphänotypisierung, die eine körperliche Untersuchung, eine Anamnese, anthropometrische Messungen und einen Glukosetoleranztest umfasste. Der individuelle Chronotyp wurde mittels eines Fragebogens bestimmt. Zudem füllten alle 92 Proband*innen handschriftlich Ernährungsprotokolle aus, in denen sie den Beginn und das Ende jeder Mahlzeit sowie die Menge und Art der verzehrten Lebensmittel an fünf aufeinander folgenden Tagen notierten. Darunter waren drei Arbeitstage und zwei freie Tage, um die Ernährungsgewohnheiten der Zwillingspaare widerzuspiegeln.
Wissenschaftliche Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Olga Ramich
Leiterin der Abteilung Molekularer Stoffwechsel und Präzisionsernährung
Tel.: +49 33 200 88 - 2749
E-Mail: olga.ramich(at)dife.de
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Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE)
Das DIfE ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsassoziierter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ursachen und Folgen des metabolischen Syndroms, einer Kombination aus Adipositas (Fettsucht), Hypertonie (Bluthochdruck), Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörung, die Rolle der Ernährung für ein gesundes Altern sowie die biologischen Grundlagen von Nahrungsauswahl und Ernährungsverhalten. www.dife.de
Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) e.V. ist eines der acht Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind Helmholtz Munich – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen von Helmholtz Munich an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden von Helmholtz Munich am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner. www.dzd-ev.de
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