News

Ein Wimpernschlag gegen schlechte Blutzuckerwerte

Funktionieren die Zilien an Betazellen der Bauchspeicheldrüse nicht richtig, kommt es zu Glukoseintoleranz und Typ-2-Diabetes. Den zugrundeliegenden Mechanismus beschreibt jetzt ein Forschungsteam des DZD-Partners Helmholtz Zentrum München in 'Nature Communications'. Die Gruppe fand heraus, dass die Zellfortsätze über direkte Zell-Zell-Kommunikationswege die Insulinsezernierung in der Bauchspeicheldrüse regulieren. Aus den Erkenntnissen erhoffen sich die Forschenden langfristig einen therapeutischen Angriffspunkt sowohl für Ziliopathien als auch für Diabetes.

Links: Langerhanssche Insel aus der Maus. Insulin aus den Betazellen grün, Zilien in Rot. Rechts: Elektronenmicrograph einer Betazelle, Zilium gekennzeichnet mit rotem Pfeil. ©Helmholtz Zentrum München, Yan Xiong/ Andreas Müller

Ziliopathien sind genetisch bedingte Erkrankungen der ziliierten Zellen. Die wimpernähnlichen Zellfortsätze dienen als Sensor für mechanische oder chemische Signale. Störungen der Zilien können schwere Erkrankungsbilder auslösen. „Bei Menschen stehen seltene Funktionsstörungen der Zilien mit Typ-2-Diabetes in Verbindung“, sagt Dr. Jantje M. Gerdes. Dazu gehören etwa das Bardet-Biedl-Syndrom oder das Alström-Syndrom*; beide lassen sich auf Mutationen an einzelnen Genen zurückführen. Gerdes leitet die Nachwuchsgruppe „Primäre Zilien und Energiestoffwechsel“ am Institut für Diabetes- und Regenerationsforschung des Helmholtz Zentrum München. Über die Erforschung von Ziliopathien will sie neue Einblicke in die Mechanismen von Typ-2-Diabetes gewinnen. „Unsere Forschung trägt dazu bei, die Biologie von Betazellen und anderen Zellen in metabolisch aktiven Geweben noch besser zu verstehen“, erklärt Gerdes.

Mausmodell klärt offene Fragen zu Diabetes und Ziliopathien
Für das aktuelle Projekt lieferte Prof. Dr. Hans-Ulrich Häring vom Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrums München in Tübingen Patientendaten, das Team um Gerdes untersuchte entsprechend ein Mausmodell, das keine funktionellen Zilien an Beta-Zellen ausbildet. Sie stellten fest, dass sich die Glukose-Toleranz** und die Insulin-Freisetzung im Laufe von zwölf Wochen massiv verschlechterte. Alle Phänomene wurden von sogenannten Ephrinrezeptoren, also speziellen Bindungsstellen auf Betazellen, vermittelt. Dabei werden EphA/Ephrin Signale hochreguliert, die die Insulinsezernierung unterdrücken. Ähnliche Beobachtungen machten die Forschenden mit Inselzellen von Organspendern. Die Forschungsgruppe wertete außerdem Daten einer kleinen Kohorte von 19 Patientinnen und Patienten aus und fand dabei Korrelationen zwischen Ziliopathie-Genen und dem Blutzuckerspiegel.

Von der Maus zum Menschen
„Wir konnten in einem Mausmodell zeigen, dass Zilien in der Bauchspeicheldrüse direkte Wege der Zell-Zell-Kommunikation regulieren und so den Blutzuckerspiegel kontrollieren“, fasst Francesco Volta aus Gerdes' Nachwuchsgruppe die Ergebnisse zusammen. „Bislang wurde die regulierende Rolle von Zilien an Betazellen unterschätzt.“ Volta: „Insofern schließt unser Manuskript eine Wissenslücke und könnte eine Grundlage für zukünftige Therapien – sowohl für Ziliopathien als auch Diabetes – bilden“.

Diabetes mellitus betrifft weltweit jeden elften Erwachsenen. Die meisten Patienten leiden unter Typ-2-Diabetes mellitus mit Insulinresistenz. Sie müssen orale Antidiabetika einnehmen oder Insuline spritzen. Weltweit suchen Forscher nach neuen Zielstrukturen für die Pharmakotherapie.


*Das Bardet-Biedl-Syndrom und das Alström-Syndrom sind zwei seltene genetisch bedingte Erkrankungen (Rare Diseases). Patienten leiden an unterschiedlichen Symptomen. Dazu gehören übermäßiger Appetit und Übergewicht und in erhöhtem Maß auch Typ-2-Diabetes.

** Bei Patienten mit Störung der Glukosetoleranz führt die orale Aufnahme von Kohlenhydraten zu höheren Blutzuckerwerten als bei gesunden Menschen. Dies kann als Vorstadium eines Diabetes mellitus betrachtet werden.

Originalpublikation:
F. Volta et al., 2019: Glucose homeostasis is regulated by pancreatic β-cell cilia via endosomal EphA-processing. Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-019-12953-5