Frühe Adipositas: Forschende entdecken neue ursächliche Mutation

Aberrant expression of agouti signaling protein (ASIP) as a cause of monogenic severe childhood obesity. Nature Metabolism 2022

Ausschnitt unten stehender Grafik. © Prof. Antje Körner, Universität Leipzig

Monogenetische Formen der Adipositas sind sehr selten. Jetzt haben Forschende einen neuen Mechanismus entdeckt, der mit starkem Übergewicht in Verbindung gebracht wird: eine Überexpression des sogenannten ASIP-Proteins. Über Details berichten sie in Nature Metabolism.

Ein Mädchen war bereits im Alter von zwei Jahren aufgrund von schwerem Übergewicht und Hochwuchs in ärztlicher Behandlung. Hinzu kamen später Anzeichen einer Insulinresistenz und einer hepatischen Steatose.

Beide Elternteile leiden an Adipositas. Der Vater hat Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und Gicht. In bestimmten äusseren Merkmalen wie der roten Haarfarbe, der blassen Haut und den Sommersprossen ähnelt das Mädchen seinem Vater. Klinisch relevante Varianten in Genen, die mit monogener Adipositas oder mit anderen Erbkrankheiten in Zusammenhang stehen, wurden durch eine Exom-Sequenzierung ausgeschlossen.

Allerdings deutet der Phänotyp einer früh einsetzenden extremen Adipositas mit starkem Längenwachstum, Hypopigmentierung und Veränderungen des Appetits auf eine genetische Ursache hin.


© Prof. Antje Körner, Universität Leipzig
 

Molekularbiologische Untersuchungen der stromal-vaskulären Fraktion
Deshalb haben die Forschenden eine Probe des subkutanen Fettgewebes der Patientin während einer bariatrischen Operation gewonnen. Sie suchten in Zellen der stromalen vaskulären Fraktion (SVF) mit Hilfe transkriptomweiter Analysen nach unterschiedlich exprimierten Genen im Vergleich zu SVF-Zellen von gesunden Kontrollen. Ein einzelnes Gen, das für ASIP (Agouti-Signaling Protein) kodiert, war in den Zellen der Patientin stark überexprimiert.

Die Wissenschaftler:innen fanden eine heterozygote Tandemduplikation am ASIP-Genlocus. Die Mutation stellt ASIP unter die Kontrolle eines ubiquitär aktiven Promotors, was zur verstärkten und ubiquitären Synthese des Agouti-Signaling Proteins führt, wie sie experimentell nachweisen konnten.


Phänotyp bekannt aus Mausmodellen
Der Phänotyp der Patientin ist überaus ähnlich dem bestimmter Mausmodelle, den sogenannten Agoutimäusen. ASIP unterdrückt als Antagonist die Aktivierung von Melanokortinrezeptoren (MCR), wie z.B. MC4R, was sich auf das Essverhalten, den Energieverbrauch, die Adipozyten-Differenzierung und die Pigmentierung auswirken könnte. Die Arbeitsgruppe hat die aberrante ASIP Expression in verschiedenen Zellen der Patientin nachgewiesen inklusive in induzierbaren Stammzellen, die sie u.a. in hypothalamisch-ähnliche Neuronen differenziert haben.

Da die Mutation bei den üblichen genetischen Screenings der Humanmedizin nicht entdeckt wird, haben Forschende die Leipziger Adipositas-Kohorte mit 1.745 Patienten erneut untersucht und vier weitere Patient:innen mit der identischen Mutation und mit ähnlichem Phänotyp identifiziert, was einer hohen Rate angesichts der Seltenheit monogen bedingter Adipositasformen entspricht.

Somit wurde erstmals eine genetisch bedingte Adipositasform beim Menschen entdeckt, die einem der ältesten Adipositasmausmodelle entspricht. Relevant ist diese Entdeckung nicht nur für die Erforschung der pathophysiologischen Zusammenhänge und Regelkreise der Adipositas beim Menschen, sondern auch, weil gendiagnostische Algorithmen überdacht werden müssen und es möglicherweise Behandlungsoptionen für diese Patienten gibt. 

Original-Publikation:
Elena Kempf, Kathrin Landgraf, ..., Matthias Blüher & Antje Körner: Aberrant expression of agouti signaling protein (ASIP) as a cause of monogenic severe childhood obesity. Nature Metabolism, 2022. DOI: 10.1038/s42255-022-00703-9