Typ-1-Diabetes: Mehr gefährliche Stoffwechselentgleisungen bei Kindern in der COVID-19-Pandemie weisen auf ungelöstes Problem der frühzeitigen Diabetes-Diagnose hin

Impact of the COVID-19 pandemic on long-term trends in the prevalence of diabetic ketoacidosis at diagnosis of paediatric type 1 diabetes: an international multicentre study based on data from 13 national diabetes registries. The Lancet Diabetes & Endocrinology 2022

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Während der COVID-19-Pandemie haben deutlich mehr Kinder und Jugendliche bei der Diagnose eines Typ-1-Diabetes bereits eine diabetische Ketoazidose entwickelt als in den Vorjahren. Das ist das Ergebnis einer internationalen, multizentrischen Studie mit DZD-Beteiligung, die jetzt in Lancet Diabetes Endocrinol erschienen ist.

Haben Kinder und Jugendliche zum Zeitpunkt der Diagnose von Typ-1-Diabetes (T1D) bereits Stoffwechselentgleisungen (diabetische Ketoazidosen) entwickelt, kann dies zu Komplikationen wie längeren Krankenhausaufenthalten, einer schlechteren langfristigen Blutzuckereinstellung und Hirnödemen oder gar zu einer höheren Sterblichkeit führen. Während der COVID-19-Pandemie beobachteten Diabeteszentren weltweit eine erhöhte Prävalenz der diabetischen Ketoazidose bei der Diagnose von T1D. Forscher:innen des DZD untersuchten gemeinsam mit internationalen Kolleg:innen, ob die Zahl der diabetischen Ketoazidosen bei der Diagnose eines pädiatrischen T1D stärker gestiegen ist als zu erwarten war. Dazu analysierten sie die diabetischen Ketoazidosen vor und während der Pandemie.

Internationale multizentrische Studie
Das Team wertete die Daten 13 nationaler Diabetesregister aus (Australien, Österreich, Dänemark, Deutschland, Italien, Luxemburg, Neuseeland, Norwegen, Schweden, Slowenien, Tschechien, USA [Colorado] und Wales). Die Studienkohorte umfasste 104.290 Kinder und Jugendliche im Alter von 6 Monaten bis unter 18 Jahren, bei denen zwischen dem 1. Januar 2006 und dem 31. Dezember 2021 T1D diagnostiziert wurde. Die beobachtete Prävalenz der diabetischen Ketoazidose in den Jahren 2020 und 2021 wurde mit Vorhersagen verglichen, die auf Trends in den Jahren vor der Pandemie (2006-2019) basierten.

Prävalenz der diabetischen Ketoazidose stieg während der Pandemie stärker als erwartet
Von 2006 bis 2019 hatten 23.775 von 87 228 Kinder eine diabetische Ketoazidose bei der Diagnose von T1D (27,3 %). Der mittlere jährliche Anstieg der Prävalenz der diabetischen Ketoazidose in der Gesamtkohorte von 2006 bis 2019 betrug 1,6 %. Während der Pandemie lagen Zahlen deutlich über den vorhergesagten Prävalenzen. Im Jahr 2020 betrug die bereinigte beobachtete Prävalenz der diabetischen Ketoazidose 39,4 % (vorhergesagte Prävalenz 32,5 %) und 38,9 % im Jahr 2021 (vorhergesagte Prävalenz 33,0 %).

„Die steigende Prävalenz der diabetischen Ketoazidose bei der Diagnose von Typ-1-Diabetes bei Kindern ist ein globales Problem. Bereits vor der COVID-19-Pandemie hat sich Prävalenz erhöht. Während der Pandemie ist sie noch mal deutlich stärker gestiegen“, fasst DZD-Wissenschaftler Prof. Reinhard W. Holl von der Universität Ulm die Ergebnisse zusammen. Die Autor:innen der Studie weisen darauf hin, dass eine umfassende Aufklärung über die klassischen Symptome des T1D im Kindesalter in der breiten Öffentlichkeit, bei den in der Kinderbetreuung oder Tagespflege tätigen Personen und bei den Allgemeinärzten in der Primärversorgung helfen könnte, das Bewusstsein für die Symptome von T1D zu schärfen. Zudem könnten auch Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens genutzt werden, wie z. B. die Durchführung allgemeiner Screening-Programme für Inselautoantikörper bei Kindern, um die Zahl gefährlicher Stoffwechselentgleisungen zu senken.

Original Publikation:
Niels H Birkebaek…Reinhard W Holl, Ondrej Cinek et al.: Impact of the COVID-19 pandemic on long-term trends in the prevalence of diabetic ketoacidosis at diagnosis of paediatric type 1 diabetes: an international multicentre study based on data from 13 national diabetes registries. The Lancet Diabetes & Endocrinology, 2022. DOI: doi.org/10.1016/S2213-8587(22)00246-7.