Weltweit größte Genetik-Untersuchung zu Typ-2-Diabetes

Neuherberg 14.07.2016. Eine neue Studie im Fachjournal ‚Nature‘ beschreibt in bislang unerreichter Genauigkeit die Genetik des Typ-2-Diabetes. Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) waren daran beteiligt. Fazit der Arbeit: Der Anteil seltener Sequenzvarianten im Genom des Menschen mit jeweils starkem Effekt auf das Diabetesrisiko ist geringer als in theoretischen Modellen vorhergesagt.
    
Mit über 400 Millionen Betroffenen ist Typ-2-Diabetes eine weltweite Gesundheitsgefahr. Um neue Wege für Prävention und Behandlung entwickeln zu können, muss das Verständnis für die zugrunde liegenden Prozesse so groß wie möglich sein. Daher untersuchen Forscher mit Hochdruck die Hauptursachen der Erkrankung: den Einfluss von Umwelt und Verhalten aber auch die individuelle Genetik.

Um Letztere besser zu verstehen, taten sich nun mehr als 300 Wissenschaftler aus 22 Ländern zusammen. Unter ihnen waren auch Münchner Helmholtz-Wissenschaftler aus den Instituten für Humangenetik, Genetische Epidemiologie und Epidemiologie 2 sowie der Abteilung für Molekulare Epidemiologie. In der größten Studie ihrer Art untersuchten sie das Erbgut von insgesamt 120.000 Menschen mit genetischen Ursprüngen in Europa, Süd- und Ostasien, Nord- und Südamerika sowie Afrika. Dabei verglichen sie die Daten von Menschen mit Typ-2-Diabetes mit denen von in dieser Hinsicht Gesunden.*

„Die nun veröffentlichten Ergebnisse zeigen zum einen mögliche neue Zielstrukturen für künftige Diabetes-Behandlungen“, kommentiert Dr. Harald Grallert, Arbeitsgruppenleiter in der Abteilung für Molekulare Epidemiologie. „Zum anderen verdeutlichen sie aber auch die Komplexität der Erkrankung, der man durch entsprechend individuellere Behandlungs- und Präventionsstrategien begegnen sollte.“

Vorangegangene Studien hatten bereits mehr als 80 Bereiche im menschlichen Erbgut identifiziert, die mit Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht werden. Allerdings konzentrierten sich diese Arbeiten auf Veränderungen im Erbgut, die vergleichsweise häufig in der Bevölkerung vorkommen. Welche konkreten Sequenzänderungen oder Gene für das Diabetes-Risiko verantwortlich sind, zeigten sie aber in der Regel nicht. „Durch die enorme Datenmenge war es in diesem Fall auch möglich, Aussagen über seltenere DNA-Unterschiede zu treffen“, so Prof. Dr. Thomas Meitinger, Direktor des Instituts für Humangenetik. Das Ergebnis: entgegen bisheriger Annahmen, das Risiko läge zum erheblichen Teil im Bereich der seltenen individuellen Unterschiede, scheinen die meisten genetischen Risikofaktoren in Bereichen aufzutauchen, die bei vielen Menschen in ähnlicher Weise vorkommen.

„Dies ist die erste erfolgreiche Studie, die neben häufigen Varianten auch seltenere genetische Varianten systematisch bezüglich des Risikos für Typ-2-Diabetes untersucht hat. Auch wenn stärkere Effekte erwartet wurden, liefern genetische Faktoren mit moderater Effektstärke ebenfalls Hinweise auf mögliche Angriffspunkte für neue Therapien“, so Prof. Dr. Konstantin Strauch, Direktor des Instituts für Genetische Epidemiologie.

Die Studie beschäftigte sich ausschließlich mit genetischen Faktoren des Typ-2-Diabetes. Diese genetischen Faktoren bestimmen nachweislich die unterschiedliche Anfälligkeit von Personen für die Krankheit unter der Annahme dass Faktoren wie Ernährung oder Bewegung konstant gehalten werden. "In der Realität sind die Umweltfaktoren aber beeinflussbar" argumentiert Prof. Dr. Annette Peters, Direktorin des Instituts für Epidemiologie 2. "Ein gesunder Lebensstil kann das Risiko für Typ-2 Diabetes reduzieren - das ist die gute Nachricht."

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Hintergrund:
* Bei manchen Probanden wurde das gesamte Genom sequenziert, bei anderen nur der Bereich, der für Proteine kodiert – das sogenannte Exom, was circa ein Prozent des gesamten Genoms ausmacht. Bei einer dritten Gruppe wurde eine große Zahl ausgewählter Sequenzpunkte entlang des Genoms bestimmt.

Original-Publikation:
Fuchsberger, C. et al. (2016): The genetic architecture of type 2 diabetes, Nature, DOI: 10.1038/nature18642

Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören. www.helmholtz-muenchen.de

Am Institut für Humangenetik (IHG) stehen die Identifizierung und funktionelle Charakterisierung von Genen, die Krankheiten verursachen, im Mittelpunkt der Forschung. Dabei werden Genmutationen, Genvarianten und die Gen-assoziierten Signalwege untersucht. Inhaltliche Schwerpunkte bilden Endokrinopathien, Herzrhythmusstörungen, neurologische Störungen sowie Mitochondropathien. Durch die Kenntnis krankheitsverursachender Genvarianten lassen sich Konzepte für neue Therapieansätze entwickeln. www.helmholtz-muenchen.de/ihg

Das Institut für Epidemiologie II (EPI II) erforscht die Zusammenhänge von Umwelt, Lebensstil und Genetik bei der Entstehung von Diabetes, Erkrankungen des Herzens und der Erhaltung der Gesundheit im Alter. Die Forschung stützt sich auf die einzigartigen bevölkerungsbasierten KORA-Ressourcen (Kohorte, Herzinfarktregister, Aerosol-Messstation). Folgestudien innerhalb der Kohorte ermöglichen die Untersuchung von Frühformen und Komplikationen ausgewählter chronischer Erkrankungen und deren Verbreitung in der Bevölkerung. www.helmholtz-muenchen.de/epi2

Der Lehrstuhl bzw. das Institut für Genetische Epidemiologie (IGE) beschäftigt sich mit der Planung, Durchführung und Auswertung von Projekten zur Identifizierung genetischer Faktoren, die zur Entstehung komplexer Krankheiten beim Menschen beitragen. Dies beinhaltet die Anwendung, Weiterentwicklung und Implementation verschiedenster statistischer Methoden, z.B. für seltene genetische Varianten, mitochondriale DNA, Gen-Gen- und Gen-Umwelt-Interaktionen, Familienstudien sowie die Berücksichtigung von Populationsstrukturen. Die Aufklärung von krankheitsrelevanten genetischen Faktoren sowie deren Berücksichtigung bei der Modellierung von Krankheitsrisiken bildet die Grundlage für individualisierte Behandlungs- oder Präventionsmaßnahmen. Der Lehrstuhl für Genetische Epidemiologie ist Partner im Münchner Zentrum für Gesundheitswissenschaften (MC-Health). www.helmholtz-muenchen.de/ige

Die selbstständige Abteilung Molekulare Epidemiologie (AME) analysiert populationsbasierte Kohorten und Fallstudien für bestimmte Krankheiten mit Hilfe von Genomik, Epigenomik, Transkriptomik, Proteomik, Metabolomik und funktionellen Analysen. Ziel ist, die molekularen Mechanismen komplexer Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder Adipositas aufzuklären. Die Abteilung führt die Bioprobenbank der Epidemiologie und übernimmt die Probenverwaltung und -lagerung für nationale und internationale Projekte. www.helmholtz-muenchen.de/ame

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung e.V. ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind das Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden des Helmholtz Zentrum München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner.

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