Dresden, 30.06.2021

Neue Studie zeigt heterogene Entwicklung der Betazellen zum Typ-2-Diabetes

Typ-2-Diabetes (T2D) beschreibt eine Gruppe komplexer pathologischer Zustände, die durch anhaltende Hyperglykämie gekennzeichnet sind und häufig zu kardiovaskulären Komplikationen, Nierenversagen, Retinopathie und Neuropathien führen. Mehr als 450 Millionen Menschen weltweit sind von diesem Syndrom betroffen, mit steigenden Inzidenzraten über die letzten Jahrzehnte, weshalb T2D eine große Bedrohung für die öffentliche Gesundheit und die Gesellschaft auf der ganzen Welt darstellt. Leider sind die molekularen Veränderungen der Betazellen der Bauchspeicheldrüse, die zu einer mangelhaften Insulinsekretion führen, in bisherigen Studien noch nicht ausreichend erforscht. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Forschenden des Paul-Langerhans-Institut des Helmholtz Zentrum München am Universitätsklinikum und der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden, des SIB Swiss Institute of Bioinformatics und des Max-Planck-Instituts für Biochemie ist nun diesem Umstand mit einer umfassenden Multi-omics-Analyse von metabolisch charakterisierten pankreatektomierten lebenden Spendern, die entlang des glykämischen Spektrums von Normoglykämie bis T2D unterteilt wurden, nachgegangen. Das Ergebnis dieses hochgradig kooperativen Projekts wurde nun in der renommierten Fachzeitschrift "Nature Metabolism (Nat Metab)" veröffentlicht.

Gemeinsame Determinante und entscheidende Ursache von T2D ist die Unfähigkeit der pankreatischen Betazellen, Insulin in ausreichender Menge im Verhältnis zum Insulinbedarf zu sezernieren. Das Versagen der Betazellen resultiert typischerweise aus einem langwierigen Prozess, der sich über viele Jahre erstreckt. Bemerkenswerterweise kann dieser Prozess durch eine bariatrische Operation oder eine starke Kalorienrestriktion schnell rückgängig gemacht werden. Daher ist die vorherrschende Meinung, dass anhaltender metabolischer Stress reife Betazellen dazu bringt, sich im Laufe der Zeit phänotypisch in Vorläuferzellen zu de-differenzieren oder in andere endokrine Inselzelltypen zu trans-differenzieren.

"Bisher wurden Einblicke in die molekularen Veränderungen, die mit der gestörten Insulinsekretion bei T2D verbunden sind, größtenteils aus Pankreasinseln gewonnen, die enzymatisch aus hirntoten Probanden isoliert wurden, die bei einer kategorischen Einteilung in nicht-diabetisch und diabetisch klassifiziert wurden, anstatt auf einer Skala von Euglykämie bis zu stetiger Hyperglykämie", erklärt Marko Barovic, Doktorand im Solimena-Labor des Paul-Langerhans-Instituts Dresden und einer der Erstautoren der Studie. "Wir haben versucht, diese Unzulänglichkeiten zumindest teilweise zu überwinden, indem wir eine komplementäre Plattform für die Beschaffung von Inseln eingerichtet haben, die auf der Entnahme und Analyse von Pankreasproben von metabolisch charakterisierten lebenden Spendern beruht, die sich aufgrund verschiedener Erkrankungen einer Pankreatektomie unterziehen mussten."

"Diese Studie bietet eine umfassende in situ Analyse von Inselzellen und Plasmaproben aus der größten Kohorte von lebenden Spendern mit bekannten detaillierten Stoffwechselprofilen", sagt Leonore Wigger, die zusammen mit Dr. Mark Ibberson am SIB arbeitet. "Die Multi-omics-Daten wurden mit modernsten Methoden generiert und auf eine Art und Weise integriert, die bisher nicht in Studien zur Dysregulation der Inselzellen im Zusammenhang mit Hyperglykämie beim Menschen zur Anwendung gekommen ist. Beispielsweise ermöglichte uns die integrative Analyse von Lipidomics- und Transcriptomics-Daten, Gen-Koexpressionsmodule und Lipidspezies zu identifizieren, die den HbA1c-Wert vorhersagen. Zusätzlich stellen die in situ Daten von Inselzellen nicht-diabetischer Probanden eine wertvolle Referenz für zukünftige Untersuchungen dar. Mit dieser Studie konnten wir zum ersten Mal eine Reihe von Inselzellgenen identifizieren, die bereits bei Probanden mit eingeschränkter Glukosetoleranz in ihrer Expression verändert sind. Dies wiederum ermöglichte uns einen noch nie dagewesenen Querschnittsüberblick über das Fortschreiten der Dysregulation von Inselzellgenen parallel zur kontinuierlichen Erhöhung der HbA1c-Werte, und zwar jenseits der konventionellen Schwellenwerte für die klinische Klassifizierung von Patienten."

Unter diesen identifizierten Genen sticht ALDOB (Aldolase B) als dasjenige mit der stärksten Korrelation zum erhöhten HbA1c hervor. Da ALDOB ein Marker für Betazellvorläufer ist, könnte seine Überexpression als Zeichen dafür interpretiert werden, dass bei T2D reife Betazellen in ein unreifes Differenzierungsstadium zurückfallen, oder dass sich ein Kompartiment, das einer lebenslangen Nische von unreifen Betazellen entspricht, welche in erwachsenen Mäusen identifiziert wurde, als potenzielle kompensatorische Quelle neuer Betazellen ausdehnt. "Die in dieser Studie verwendete umfassende, unvoreingenommene Proteomanalyse bestätigte die stärkere Expression von ALDOB und zeigte darüber hinaus, dass das Expressionsprofil von Inselzellen bei Personen mit T2D sehr divergent ist, im Vergleich zu dessen bemerkenswerter Homogenität in Inselzellen von nicht-diabetischen Personen. Eine Rückbildung der Betazellen in Richtung eines entdifferenzierten Zustands, der einer linearen Bahn folgt, die ihren Entwicklungsweg bis zur Reifung oder ihre Transdifferenzierung in andere Inselzelltypen rekapituliert, scheint daher weniger wahrscheinlich als eine disharmonische Lockerung der Beschränkungen der Genexpression", erklärt Andreas Brunner, Doktorand im Labor von Prof. Matthias Mann am Max-Planck-Institut für Biochemie. Proteomics-Studien bestätigten die in den Transkriptomanalysen gefundenen Veränderungen in der mitochondrialen und Transkriptions-/Translationsmaschinerie. Ein Ansatz für weitere Forschung ist die Erkenntnis, dass in Betazellen von T2D-Patienten die Acetylierung von Histonproteinen, die die Verpackung der DNA und die Genexpression kontrollieren, erhöht ist.

Dieses Projekt wurde u.a. von der Innovative Medicines Initiative 2 Joint Undertaking RHAPSODY und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD e.V.) gefördert.

Original-Publikation:
Wigger L et al.: Multi-omics profiling of living human pancreatic islet donors reveals heterogeneous beta cell trajectories toward type 2 diabetes. Nature Metabolism. doi:10.1038/s42255-021-00420-9
 

Das Paul-Langerhans-Institut des Helmholtz-Zentrums München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus und der Medizinischen Fakultät der TU Dresden (PLID) leistet einen entscheidenden Beitrag zum besseren Verständnis der Krankheitsmechanismen und zur Erforschung neuer Therapiemöglichkeiten. Das Institut ist Gründungspartner des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD e.V.) und seit Januar 2015 Satelliteninstitut des Helmholtz Zentrums München. Die Arbeit im DZD-Netzwerk ermöglicht Forschungsprojekte in viel größerem Umfang, sowohl im Bereich der Grundlagenforschung durch interdisziplinäre Ansätze als auch im Bereich der klinischen Studien.

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