Jedes Jahr erkranken etwa bis zu einer halben Millionen Menschen in Deutschland neu an Diabetes. Doch wie lässt sich die Erkrankung verhindern, therapieren oder gar heilen? Im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung e.V. (DZD) arbeiten Spezialisten unterschiedlicher Disziplinen zusammen, um maßgeschneiderte Ansätze zur Prävention, Diagnostik und Therapie des Diabetes zu entwickeln und so der Volkskrankheit entgegen zu wirken. Auf dem Diabetes-Kongress 2017 stellte das DZD seinen integrativen Forschungsansatz vor. Unter dem Motto» Diabetesepidemie: Trendwende durch translationale Forschung« informierten DZD-Experten über innovative Therapie-Ansätze, den Einfluss der Epigenetik auf die Diabetesentstehung, neue Möglichkeiten der Vorbeugung sowie aktuelle Ergebnisse aus der Forschung und aus klinischen Studien.
Lebensstil kann vererbt werden
„Die Entstehung von Diabetes ist ein komplexer Prozess, der durch ein vielschichtiges langjähriges Zusammenspiel von Genen, Lebensstil und Umweltfaktoren zu der Erkrankung führt. Nur wenn wir diesen Prozess verstehen, können wir auch neue Ansätze entwickeln, um die Stoffwechselerkrankung zu behandeln , oder gar zu vermeiden“, erläuterte Professor Martin Hrabě de Angelis (Bild unten, 2.v.li.), Mitbegründer und Vorstandsmitglied des DZD, bei der Tagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft in Hamburg. Wichtige Erkenntnisse, wie die Stoffwechselerkrankung entsteht, liefern aktuelle Forschungsarbeiten. So haben Wissenschaftler des DZD entdeckt, dass der Lebensstil über epigenetische Veränderungen weitervererbt werden kann. „Lebensstilbedingte Erbgutveränderungen sind einer der Schlüssel dafür, wie ein Organismus auf bestimmte Nahrungsmittel reagiert und wie eine Diabeteserkrankung individuell verläuft“, betonte Professorin Annette Schürmann (Bild unten, re.), Sprecherin des DZD und Kongresspräsidentin.
Organ Cross Talk
Während früher die Bauchspeicheldrüse im Mittelpunkt des Forscher- Interesses stand, richtet sich der Blick der Wissenschaftler heute auf den gesamten Organismus. Denn bei der Diabetes-Entstehung spielen viele verschiedene Organe – wie zum Beispiel Leber, Gehirn, Muskeln und Fettzellen – eine entscheidende Rolle. „Insbesondere die Ansammlung von Fett in der Leber begünstigt eine Störung des Blutzuckerstoffwechsels“, berichtete Professor Michael Roden (Bild oben, 3.v.li.), Vorstand des DZD. So haben Menschen mit einer Fettleber ein hohes Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken.
Neue Therapie-Ansätze
Doch wie lässt sich die Stoffwechselerkrankung künftig behandeln? Neue Möglichkeiten der Therapie von Typ-2-Diabetes eröffnen Multihormone. DZD-Forscher um Professor Matthias Tschöp (Bild unten, li.) entwickelten einen Wirkstoff, der die Wirkungen der drei Magen-Darm- Hormone GLP-1, GIP und Glukagon auf sich vereint. Dieses Mittel senkt den Blutzuckerspiegel und reduziert das Körperfett deutlich. Nachdem sich der Wirkstoff bereits im Tiermodell bewährt hat, wird er nun in klinischen Studien getestet.
Betazellen ersetzen
Für Menschen mit Typ-1-Diabetes könnte die Übertragung von Betazellen künftig an Bedeutung gewinnen. Die Inselzelltransplantation in geschützten Kapseln wurde bereits erfolgreich an Patienten getestet. Hier sei jedoch die Spendersituation der begrenzende Faktor, bedauerte Professor Stefan Bornstein (Bild oben, 2.v.re.), Dresden. Eine Alternative könnte die Übertragung artfremder Zellen aus dem Schwein sein, die Xenotransplantation.
Lässt sich Typ-1-Diabetes vermeiden?
Ein wichtiger Durchbruch ist bei der Prävention von Typ-1-Diabetes gelungen. Durch orale Insulin- Gabe bei Kindern zwischen zwei und sieben Jahren mit erhöhtem Diabetesrisiko lässt sich eine schützende Immunreaktion auslösen. Die Immunologin Dr. Carolin Daniel (Bild unten, li.) untersucht die Mechanismen solcher schützenden Immunreaktionen, um möglichst gezielt den Krankheitsprozess bei Typ-1-Diabetes aufhalten zu können.
Diese wenigen Beispiele zeigen die erfolgreiche Arbeit des DZD in den vergangenen Jahren. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die interdisziplinäre und standortübergreifende Zusammenarbeit. Gegründet 2009, verteilt sich das nationale Zentrum auf fünf Partnerstandorte. Darauf aufbauend konnten von Beginn an rasch bundesweit Teilnehmer für große Multicenter-Studien gewonnen werden, berichtete Professor Hans-Ulrich Häring (Bild unten, 2.v.re.), DZD-Vorstand.
Hochrisiko-Patienten identifizieren
So konnten beispielsweise aus vorbestehenden Daten 8.000 Menschen mit Prädiabetes zu einer großen Kohorte zusammengefasst werden, mit dem Ziel, neue, individuelle Präventions- und Behandlungsstrategien für Menschen mit Diabetes zu entwickeln. Fragen, die dazu beantwortet werden sollten, waren beispielsweise: Wie viele der Menschen, die Prädiabetes haben, entwickeln wirklich Diabetes? Inwieweit erhöht Schwangerschaftsdiabetes das spätere Risiko für Typ-2-Diabetes? Die Ergebnisse der Lebensstilinterventionsstudie zeigen, dass 20 bis 30 Prozent der Prädiabetiker nicht von einer Änderung des Lebensstils profitieren. „Diese Gruppe interessiert uns ganz besonders, da sie wahrscheinlich auch ein hohes Risiko für Organschäden hat“, erklärt Professor Häring. Inzwischen gibt es Ansätze für individuelle Therapien. "Wichtige Hinweise zum individuellen Diabetes-Risiko gibt der DIfE – Diabetes-Risiko-Test®", sagte Professor Matthias Schulze (Bild oben, 2.v.li.). (http://drs.dife.de)
Nachwuchs fördern
Die Ausbildung von Grundlagenforschern und jungen Ärzten, die die translationale Forschung im Fokus haben, ist wichtig, um die anstehenden Fragen zu lösen und innovative Ansätze zur Prävention und Behandlung von Diabetes weiterentwickeln zu können. Eine besondere Rolle im DZD spielt deshalb die Nachwuchsförderung, betont Dr. Astrid Glaser, Geschäftsführerin des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung. Das DZD unterstützt junge Wissenschaftler mit vielfältigen Angeboten wie einem Postdoc-Programm, Technical Training Courses und Reisestipendien. Bei der jährlichen DZD Diabetes Research School können Doktoranden, Postdocs sowie wissenschaftlich aktive Ärzte im Bereich der Diabetes-Forschung sich mit hochkarätigen Experten austauschen sowie wichtige Kontakte und Netzwerke mit Kolleginnen und Kollegen aufbauen.